Schon wieder diese Werbung über die fünf Schritte, die mich in einem Monat mehrere tausend Euro Umsatz machen lassen. Im Minutentakt poppen die Werbefilme auf meinem Bildschirm auf und wollen mich dazu bewegen, auf einen Link des „Reichtums“ zu klicken. Es scheint so, dass jeder im Internet weiß, wie man in einem Monat reich und erfolgreich wird. Nur ich habe es wohl nicht mitbekommen. Geschichten von alleinerziehenden Frauen ohne Ausbildung und mit kleinem Gehalt, die vor einem halben Jahr ihre Miete nicht bezahlen konnten und nun ein Haus kaufen. Studenten, die nichts zu tun brauchen, als die tollen Techniken des Reichtums zu nutzen und zuzusehen, wie ihre Kontobestände wachsen. Immer diese Schicksalsschläge. Immer dieser Aufstieg – vom Tellerwäscher zum Millionär.

„Nett, aber nein, danke“, denke ich und klicke die lästig empfundene Werbung weg. Dann aber habe ich eine Idee. Wenn die Werbung wiederkommt, schaue ich sie mir an. Aus Neugier. Es könnte ja sein, dass sie den Erfolg neu erfunden haben. Man lernt ja nie aus.

Mit dem sarkastischen Gedanken „Dann habe ich mich halt etwas falsch positioniert, die Selbstdisziplin ist nicht länger von Nutzen“ im Hintergrund warte ich auf die nächste Gelegenheit. Und sie kommt.

Also sehe ich mir die vollen 30 Sekunden des Videos an und schreibe dabei meine Beobachtungen auf. Dann warte ich auf das nächste und das nächste Video. Ich will es wirklich wissen.

Nach 15 unterschiedlichen Werbegängen höre ich auf. Ich fasse zusammen: Alle Werbungen kamen von unterschiedlichen Anbietern mit unterschiedlichen Produkten oder Dienstleistungen. Alle Personen wirkten sehr sympathisch und vertrauensvoll auf mich. So weit, so gut. Bei der Gestik fällt mir aber eine Kleinigkeit auf: Jede von ihnen hat drei, vier oder fünf Tipps bzw. Schritte, wie man schnell und ohne Geld zum Erfolg kommt. Alle halten drei, vier oder fünf Finger ins Bild und sprechen langsam die entsprechende Zahl aus. Haben sie das bei irgendeinem Seminar gelernt? Ich bin erleichtert, dass sie keine sechs Tipps haben. Sechs Finger an einer Hand würden verstörend wirken. OK, jetzt höre ich wirklich auf, so voreingenommen zu sein, und bleibe sachlich.

Der Botschaft klang doch sehr verlockend:

  1. Erfolg geht ganz leicht
  2. Für den Erfolg braucht´s keine Anstrengung
  3. Erfolg kostet nichts
  4. Erfolg kann jeder
  5. Und es geht schnell

Perfekt! Ist doch super! Und, wie geht der Erfolg?

Wie es weitergeht, kann ich Ihnen leider nicht sagen. Um dies zu erfahren, müsste ich meine Daten, meinen Namen und meine E-Mail-Adresse verraten, und so weit wollte ich dann doch nicht gehen. Nicht weil ich Angst um meine Daten habe, sondern weil ich die obigen fünf Aussagen für Unfug halte.

Ich unterstelle keinem der Erfolgs-Anbieter, dass sie betrügen. Ich denke eher, dass sie genau dasjenige Wording gewählt haben, das wir gerne hören wollen, um mehr potenzielle Kunden anzusprechen. Es ist sehr gut möglich, dass sie am Ende ein gutes Produkt anbieten, welches eine Lösung für ein ganz bestimmtes Problem darstellt. Aber es wird sicher kein Erfolg über Nacht sein. Egal, was die Werbung verspricht.

Es gibt einen ganz bestimmten Grund, warum wir gerne glauben wollen, dass etwas zu tun so leicht ist, wenn man nur weiß, wie.

Stellen Sie sich einen Baum vor, der sowohl Äpfel als auch Pfirsiche trägt.

Wie lange hat das gedauert, bis Sie das Bild vor Augen hatten? Eine Sekunde?

Und jetzt setzen Sie dieses Bild in die Realität um. Pflanzen Sie einen Baum, der sowohl Äpfel als auch Pfirsiche trägt. Ob das ebenfalls nur eine Sekunde lang dauern wird?

Die Gedanken-Welt ist keine physische Welt. Hier gelten der Gesetze der Physik nicht. In der physischen Welt gibt es den Raum, die Masse und die Zeit. Der Geist ist Raum, Masse und Zeit entkoppelt und hat überhaupt kein Verständnis dafür, dass der Körper dies nicht ist.

Deshalb wollen wir lieber einen Erfolgsflirt als eine ganze Erfolgsehe. Die Profis wissen das. Und führen uns zu Recht in die Irre.

Ganz ehrlich: Wären Sie auf der Suche nach einem Erfolgsrezept, wem würden Sie lieber zuhören? Einem sehr eloquenten Menschen, der Ihnen sagt, dass Sie mindestens fünf bis zehn Jahre oder noch länger daran arbeiten müssen, bevor Sie den tatsächlichen Durchbruch erleben werden, oder einem sichtbar erfolgreichen Menschen, der mit einer teuren Armbanduhr, einem Seidenmaßanzug und einem Sportfahrzeug mit Lederbezügen über den schnellen und leichten Weg zum Erfolg spricht?

Das kann nicht klappen. Wir wissen das, und trotzdem hören wir denjenigen zu, die uns die Leichtigkeit und die Geschwindigkeit im Erfolg verkaufen.

Ich denke, das hat etwas mit unserem Selbstbewusstsein zu tun. Wer traut sich schon etwas Großes und Außergewöhnliches zu? Wer glaubt so sehr an seine Vision, dass er meint, jahrelang davon zehren zu können?

Die Mehrheit, mit der ich zu tun habe, hält sich für „normal“. Und „normal“ bewegt die Welt nicht. Normal ist unsichtbar. Unsichtbar, weil „normal“ die Masse ist. Die Masse mag keine Einzelgänger. Die Erfolgreichen sind es aber! Man provoziert die Masse mit dem Vorhaben, erfolgreich zu werden. Es gibt aber keine Garantie auf Erfolg.

Bevor man sich dies eingesteht, dass man Angst vorm Scheitern hat, redet man sich ein, dass man ja gar nicht Erfolg haben will. So kommt es, dass die Masse keine Vision hat. Sie hat einen Erfolgsflüsterer mit teuren Armbanduhren.

Ein Mensch, der weiß, was seine Lebenszeit wert ist, arbeitet nicht für einen Armbanduhrbesitzer, der seinerseits nur an seiner Vision arbeitet.

Immer wieder sagt man mir: „Maia, das ist zu weit hergeholt. Das ist zu kompliziert. Das ist zu viel. Gib den Menschen die Information häppchenweise, dann folgen sie dir.“ Das kann ich nicht mehr hören. Echt.

Sie wollen ein Häppchen? Eine Formel des Erfolgs? Hier ist sie: Werden Sie zu der Frau oder zu dem Mann, die oder der den Erfolg erschaffen kann.

Das liest sich doch super einfach?! Führt nur leider zu nichts.

Wollen Sie keine komplexen Zusammenhänge von Kausalitäten und anderen Naturgesetzen von mir lesen?

Dabei müsste ich Ihnen sagen: Für den Erfolg müssen Sie sich anstrengen, geduldig und akribisch an ihm arbeiten, Fehler machen und aus ihnen lernen können. Sie werden oft hinfallen, Sie werden missverstanden und ausgelacht werden. Nach jedem Hinfallen müssen Sie aufstehen und weitermachen. Und es gibt keine Garantie auf Erfolg. Wenn Sie niemals aufhören, gibt es jedoch die Gewissheit, dass sie ihn dennoch haben werden. Das ist alles.

Wie liest sich das? Unsexy. Das weiß ich doch selbst.

Sehen Sie sich um: „Normal“ sein hat uns so weit gebracht, wo wir nun sind. „Normal“ reicht nicht aus. „Normal“ ist out. Selbstdisziplin ist in.

Autorin: Maia Egger

Bild: Gilbert Egger